Donnerstag, 19. Juli 2012

Filmrezension: Casino Jack (USA 2010)


Regie: George Hickenlooper

☞ Trailer

Geschichten aus Amerika, von denen wir uns wünschten, dass sie nicht wahr wären

Kevin Spacey ist großartig. Ein großartiges Schwein. Abgefeimt, mit allen Wassern gewaschen, nie um eine flapsige Bemerkung oder eine glatte Lüge verlegen. Und – als individuelles Schmankerl – er zitiert gerne Hollywood-Oneliner aus dem Dolph-Lundgren-Regal: »Let’s kick some ass.« Yeah Baby.
Spacey spielt den Lobbyisten Jack Abromoff, den es, wen wundert’s, tatsächlich gab und immer noch gibt. True story also. Mal wieder. Frage: Wurde eigentlich jemals ein Drehbuch über das amerikanische Politgewerbe verfilmt, das komplett frei erfunden war? Eine außerirdische Vorstellung: Man läuft raus aus dem Kino und sagt seiner Freundin: ›Krass, stell dir mal vor, wenn es das wirklich gäbe, und dann noch im Weißen Haus – never ever. Ist ja bloß ein Film.‹
Dazu ein kurzer Abstecher in die Antike: Good old Aristoteles rückte bereits vor über zwei Jahrtausenden Geschichtsschreibung und erzählende Literatur in eine schwüle Nähe: jene erzähle, wie es gewesen sei, diese, wie es hätte gewesen sein können. Eine haarscharfe Linie, kaum mehr als ein Membran. Damit bricht er eine Lanze für die von verirrten Wissenschaftsaposteln und Realitätsfetischisten gerne als rein fiktiv ergo irrelevant gescholtene Weltdarstellung durch die ars poetica.
Für das vorliegende Genre, das amerikanische Innenpolitdrama (diesen Gattungsnamen habe ich gerade erfunden) à la The Ides of March, das seit Jahren einen Boom erlebt, gilt mit Blick auf Aristoteles: die beiden Disziplinen nähern sich der Deckungsgleichheit. Wake up. Alles real. Spitze des Eisbergs usw. Dabei klappt einem während des Films immer mal wieder der Kiefer runter und man ist versucht, zu wiederholen, was hitlergläubigen Deutschen öfter entfahren sein soll, wenn sie mit Verbrechen der eigenen Regierung konfrontiert wurden: »Wenn das der Führer wüsste!« – Sorry, Leute. Er weiß es. Schon lange.



»Let’s kick ass.« Dolph Lundgrens Muskeln, auf das Handwerk der Lobbyisten übertragen, sind: eine große Klappe, Schauspiel- und Improvisationskunst und raffiniertes, skrupelloses networking. »If you need a friend in Washington, get yourself a dog«, zitiert der Lobbyist Abromoff den ehemaligen Präsidenten Harry Truman. »We don’t have friends. All we have, are people you do business with«, muss sich Abromoff von seiner tapferen Gattin gegen Ende des Films vorwerfen lassen.
Natürlich, auch das ist nichts Neues. Freunde wären ein Hindernis in diesem Roulette des catch-as-catch-can.  Wer an die Spitze will, kann sich so etwas Sentimentales wie persönliche Bindungen nicht leisten, das hieße ja, verbindlich sein zu müssen, nicht andauernd die Richtung ändern zu können. Das muss man üben, im Kraftraum des täglichen Arbeitslebens.
»I work out every day«, lautet Jacks Lebensmotto, deutsch mit ›Ich gebe nie auf‹ untertitelt. Die wörtliche Übertragung ›Ich trainiere täglich‹ scheint mir sinnfälliger. Der Satz ist die Verkörperung des amerikanischen Traums in schwarz: Betrüge, wo du betrügen kannst, die anderen tun es doch auch. Der Filmtitel funktioniert auf zwei Ebenen und ist insofern Programm. Der politische Kampf um die Vergaberechte von einträglichen Spielcasinos bildet die Binnengeschichte, den Rahmen und das eigentliche Thema des Films aber bildet das große politische Spiel darum, wer bei diesem Vergabeprozess wen besticht. Und wer draufzahlt.



Kevin Spacey verkörpert den Lobbyisten so überzeugend, dass es einen friert. Der Größenwahn und der Personenkult, den er und sein Kumpan entwickeln, stehen im Kontrast zu der vorgegaukelten (oder gar wahrhaftigen?) und jedenfalls komplett ironiefreien Religiosität, ohne die es – wir sind schließlich im Amerika des 21. Jahrhunderts –  auch in diesem skrupellosen Kampf um Einfluss und Geld nicht geht. Egal ob Jude oder Christ. Herrlich anzusehen, wie drei grimmige Politiker, bevor sie einander an die Gurgel gehen, im Sitzkreis an den Händen fassen, um zu beten. Wie Bluthunde, die sich vorübergehend selber an die Leine nehmen. Kevin Spaceys Gesichtsausdruck in diesem Moment ist unbezahlbar.
Unbezahlbar auch die Einstellung mit dem roten Spitzenhöschen am hoch hängenden Lüster in der Villa seines Bruders und Partners. Sex bringt die Welt ins Rollen. In USA sowieso. Nirgends sonstwo gehen Frömmigkeit und Triebgesteuertheit derart freimütig einen Tanz miteinander ein, als ob nichts dabei wäre. Dazu passt ein Zitat aus einem Artikel von Adam Soboczynski in der aktuellen ZEIT (No.30, 19.7.12): »Der propagierten Moral ist in Amerika stets die Pornoindustrie beigesellt, der Bigotterie im Mittleren Westen die Prostitution in Nevada, dem Oval das Oral Office.«
Die Männer haben die Rechnung ohne ihre Frauen gemacht. Das Spiel ist aus. Aus? Das Spiel geht weiter. Und Filme wird es weiterhin dazu geben. Der Stoff wird ihnen nie ausgehen. Dazu sind sich das Regierungsviertel und die Geschichtenfabrik in den Hügeln von LA zu ähnlich. »Washington is Hollywood with ugly faces«, sagt Abromoff.



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