Freitag, 10. August 2012

Havoc (USA, 2005)

Regie: Barbara Copple 
Mit: Anne Hathaway, Bijou Phillips, Freddy Rodriguez

☞ Trailer


Denn sie wissen nicht, was tun

Was haben die Kinder aus der reichen weißen oberen Mittelschicht in den Armenvierteln von L.A. verloren? Genau, nichts. Warum fahren sie dennoch dorthin? Weil ihnen langweilig ist. Weil sie einen Kick brauchen (so lautet auch der neue Titel der DVD-Ausgabe). Weil sie selber Hobby-Gangstarappa sind und sich darin gefallen, in Reimen über die korrupte kaputte Welt zu schnöden. Während sie selbst im Glashaus sitzen. Die coolen Gesten haben sie von ihren schwarzen Vorbildern ausgeliehen, die etwas angestrengt wirkende Kleidung hingegen (jeden Tag ein neues Outfit) hat ihnen der Herr Papa gekauft – schließlich gehen sie alle noch zur Schule, natürlich nur nebenbei. Das richtige, das eigentliche Leben spielt sich an den Partys und den Meetings ihrer Gang ab, wo sie abhängen, kernige Sprüche von sich geben, ein bisschen Sex haben – und sich ansonsten aus Herzenslust langweilen: »We’re actually totally fucking bored«, sagt Allison (im jugendfreien Trailer fehlt das Attribut natürlich), und zwar in die Kamera eines gänzlich uncoolen Altersgenossen, der dabei ist, einen Film im Film zu drehen, einen Doku über diese jeunesse doréé aus Pacific Palisades, L.A., California.

Jungzusein bedeutet hier Arbeit an der eigenen Street credibility, das kostet Zeit, Kraft, und ist im Grunde eine lebensabschnittsfüllende Aufgabe. Sie können einem leid tun, die boys and girls, wie sie sich anstrengen, den Rollen gerecht zu werden, die der Zeitgeist und die peer group ihnen vorschreibt. Die Frauen lasziv und rotzfrech, die Jungs hart, allzeit bereit und selbst dann angetrunken, wenn sie nüchtern sind.

Die Geschichte des relativ kurzen Films (82 Min.) der zweimaligen Oscarpreisträgerin Barbara Kopple spielt sich innert weniger Tage ab: Allison möchte etwas erleben, also fahren sie, ihr Freund Toby sowie ein paar andere aus ihrer Hip-Hop-Gang in den Osten der Stadt, eine verwahrloste Gegend, wo im Unterschied zu dem am Meer gelegenen Pacific Palisades das Faustrecht gilt und die Polizeipatrouillen nicht dazu dienen, die Anwohner zu schützen, sondern sie zu beschatten und gegebenenfalls festzunehmen. Toby will Gras kaufen, also halten sie irgendwo an und kommen mit Hector (Freddy Rodriguez) ins Geschäft, einem typischen smarten Ghettodealer mit einer stattlichen Ansammlung Tatoos und dem obligaten weißen Unterhemd. Im Unterschied zu dem ›white trash‹ in teuren Klamotten kennt er die Regeln seiner Gegend und des Geschäfts. Toby aber legt sich unüberlegt mit Hector an, und hat innert Sekunden dessen Pistole an der Schläfe – und buchstäblich die Hosen voll.

Diese Niederlage, zumal vor den Augen seiner erblassten Freundin, ist schwer verdaulich, und zwar für beide, ihnen scheint klar geworden, dass sie dort nicht hingehören. Scheint – denn Allison hat klammheimlich einen Narren an Hector gefressen, der im Unterschied zu dem Großmaul Toby mehr als nur harte Worte auf Lager hat. Und aus der sicheren Distanz planen beide ein Wiedersehen, aus unterschiedlichen Motiven: Toby, um seine Ehre wieder herzustellen, Allison, um endlich einen richtigen Mann in den Armen zu halten. The Beauty and the Beast in der L.A-Variante.

Wobei das Beast zunächst im Schafspelz daherkommt. Bei einem zweiten Abstecher von Allison und drei Freundinnen – diesmal haben sie ihre verkleideten Hip-Hop-Freunde zuhause gelassen – zeigt sich: Hector hat durchaus begriffen, dass es sich bei den weißen girls im Grunde nur um Ghettotouristinnen handelt, spätpubertierende Mädchen auf der Suche nach etwas, das sie herausfordert und mit dem sie nachher vor sich selbst angeben können. Er nimmt das durchaus gelassen hin und markiert den Gentleman, lässt sie, als ihnen nach einzwei Stunden heftiger Flirterei allmählich blümerant wird und sie einen verfrühten Abgang ankündigen, einfach gehen, was als durchaus großzügige Geste in solchen Kreisen zu taxieren ist. Es kommt zu einem weiteren Treffen zwischen den beiden, diesmal zu zweit, bei dem sie von der Polizei kontrolliert und festgenommen werden, eigentlich eine zweite Warnung, die Allison in den Wind schlägt. Sie und ihre engste Freundin Emily (Bijou Phillips) beschließen, Hector um Aufnahme in dessen Gang zu bitten. Doch das hat seinen Preis.

Der Film ist leidlich spannend, man wundert und amüsiert sich über die Naivität der Protagonisten, deren Sehnsucht nach der großen weiten Welt von Barbara Kopple durchaus etwas durch den Kakao gezogen wird. Auch die Eltern bekommen ihr Fett weg. Sie sind komplett mit sich selbst absorbiert (der Job! Die Ehe!) und beschränken sich im übrigen darauf, das pflegeleichte Gesicht ihrer Brut kennen zu wollen und nicht nachzufragen. Im Gegenteil: Allison muss sich ihrerseits tatsächlich von ihrem Vater die Frage stellen lassen, was sie von seiner Ehe halte, man könne doch über alles reden. Die Eltern sind nicht bloß ahnungslos, wie bereits in Rebel Without a Cause, dem berühmten Jugendgang-Drama mit James Dean und Natalie Wood (Nicholas Ray, USA 1955), sondern sie drehen die Rollen um, machen sich selbst zu Kindern. Zumindest wird so etwas angedeutet.

Allerdings kann es Havoc diesbezüglich nicht mit Melodramen wie American Beauty (Sam Mendes, USA 1999) oder Little Children (Todd Field, USA 2006) aufnehmen, die solche Generationenkonflikte viel überzeugender ausloten. Auch über die Hauptfiguren, die doch arg klischiert und oberflächlich daherkommen, erfährt man zu wenig, selbst Allison bleibt einem rätselhaft und fremd, auch wenn Anne Hathaway die Rolle der Möchtegerne-Femme-Fatale ganz gut ausfüllt. Das Drehbuch interessiert sich offenbar zu wenig für den einzelnen Charakter und für Tiefe, sondern will ein grobes Sittenbild einer Jugendszene entwerfen. Das gelingt der für ihre Dokumentarfilme ausgezeichnete Regisseurin nur ansatzweise, vieles wirkt unfertig, unausgegoren. Was bleibt, immerhin, ist eine Skizze über die Ratlosigkeit einer saturierten Gruppe Jugendlicher, die sich mangels Inspiration in eine Welt träumen, für die sie nicht gebaut sind. Und jede Menge Hip-Hop auf der Tonspur.

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