Dienstag, 11. September 2012

Glück (Doris Dörrie, D 2012)


mit Alba Rohrbacher, Vinzenz Kiefer, Matthias Brandt


In Isabel CoixetsThe Secret Life of Words‹ (2005) bleibt die traumatische Vergangenheit im schrecklichen Balkankrieg lange im Hintergrund, in Glück steht sie fast ganz am Anfang. Eine schlimme Sequenz, eine zum Wegsehen oder Ausschalten, wie überhaupt der Film zweidrei zum Glück kurze Szenen auf Lager hat, die man nicht mit gutem Gewissen zarten Gemütern empfehlen möchte. Dennoch verdient sich der Film nach und nach seinen Titel. Vom Glück der kleinen Leute wird hier erzählt, der kleinen heilen Nische der Gebeutelten, der Randständigen, der Penner und Huren in den Straßen und Sozialwohnungen Berlins.
Irina nennt sich vor den Freiern Natascha und verrichtet ihre Arbeit mit einem gerüttelt Maß an Verachtung für ihre Kundschaft. Man fragt sich, wie gerade sie das überhaupt durchsteht, doch der Film stellt ihr keine Alternativen bereit. Zum Überleben bleiben der Sans-Papier nicht viele Optionen und die 50 Euro pro Freier sind gutes Geld – so schlimm das klingt. Und wenn’s mal nicht mehr geht, ist da die Schachtel mit Nadeln im Badezimmer, mittels derer sie die seelischen Schmerzen durch körperliche vertreibt. Diese untote Vergangenheit muss vergangen bleiben, das ist schon mal klar. Hier wird nichts aufgearbeitet, hier wird weitergelebt, aus Leibeskräften.



Eines Nachts begegnet sie Kalle, einem jungen Berliner Punk mit Hund und jeder Menge Metall an seinem trotzigen, aber hübschen Schädel. Er hängt rum, bettelt ein wenig, ein klein wenig renitent, vermutlich ein selbstgewähltes Schicksal, es sieht ein bisschen nach Spätpubertät aus. Die beiden lernen sich allmählich kennen, Irina bietet ihm an, bei ihr zu übernachten, erst nach einer Weile kommen sie sich näher.  
Bei einer solchen Ausgangslage liegt es auf der Hand, welche Richtung die Konflikte nehmen und was den Spannungsbogen ausmachen könnte: schließlich hat Irina keine Papiere, aber schafft an. Und der hobbyverwahrloste Kalle wirkt neben ihr zunächst eher wie der kleine Bruder, der mal gekämmt werden müsste, als der Lebensgefährte und potentielle Liebster. Wie fühlt sich das eigentlich für sie an, die Liebe?
Die Wunden, die der Krieg geschlagen hat, werden notdürftig überdeckt, und Dörrie, die das Drehbuch nach einer Kurzgeschichte von Ferdinand von Schirach geschrieben hat, lässt uns eine ganze Weile teilhaben an dem kleinen Glück, das sich hier in leisen Tönen entwickelt, und von dem man ahnt, dass es ein vorläufiges ist.  
Wirklich berührend ist die Art und Weise, wie die Protagonistin um Normalität kämpft, wie sie gleichzeitig mit Befremden und Geduld Kalle, der gerne wegrennt vor dem Glück, vor sich selber, dabei hilft, aus seinem Kokon zu entschlüpfen, wie sie ein kleines häusliches Glück entstehen lässt, aus fast nichts. Und wie sie mit zweidrei Handgriffen das Liebesnest zum rosa Puff verwandelt – es lebe der Pragmatismus, wo die Moral verstummt. Man denkt an Franz Biberkopf und seine Mieze aus Döblins Berlin Alexanderplatz (1929) – ach je, wie soll das gut gehen?
Es ist ein kleiner stiller Film geworden, hier wird weder auf die Tube gedrückt noch auf die Tränendrüse. Aber er bietet Einblick in einen Kosmos, der nur selten auf die Leinwand findet. Und es sind kleine Details und filmische Gesten, die bleiben. Das selbstgestickte Taschentuch mit der Wolkenschaukel, das Rehkitz aus Plastik, das nur in Irinas Wintergarten nicht laut KITSCH schreit, das betörende Rot des Mohnfelds. Und immer wieder Irinas Gesicht, die man gar nicht genug ansehen kann, egal ob ungeschminkt oder mit der obligaten weißblonden Nuttenperücke. Man staunt sie an, diese Frau, die etwas erlebt hat, das wir uns in unseren schlimmsten Träumen nicht vorzustellen wagen, das Unsagbare. Und sie macht einfach weiter. Zieht sich an, zieht sich aus, kauft ganze Hühner und wirft sie aus dem Fenster, backt einen Kuchen und verschenkt sich selbst. Ein Film über die sagenhafte Fähigkeit des Menschen, einfach weiterzugehen und sich Honigbrote zu streichen, um zu überleben. 
Ist das jetzt Sozialkitsch, wie die TAZ schnödet? Sicher: Dörrie legt eine hellrosa Folie über viele Sequenzen, andererseits: die beiden verlieben sich ineinander und so sind sie von einer gewissen kindlichen Hoffnung getragen, wie das eben ist, wenn man verliebt ist. Alles andere verliert an Bedeutung und Gewicht. Der Film hat auch nicht die Absicht, das Elend in seinem vollen Ausmaß auszuleuchten, so sieht man von Irinas Arbeit mit ihren Freiern oft nur das Hinlegen oder Entfernen der Kleenextücher. Dennoch ist die Bildersprache immer noch deutlich genug: So karg und einsam wollen die meisten von uns nicht leben, weder Irina noch Kalle haben Freunde oder Familie.
Wenn der Anspruch sein soll, dass man Kriegsversehrtheit in ihrem vollen Ausmaß zeigen soll, dann geht der Film sicherlich nicht weit genug. Ein engagiertes Sozialdrama, das einen allerdings ins seelische Elend treibt, wie beispielsweise der brutal-unerträgliche Lilja 4-ever (Lukas Moodysson, Schweden 2002) hat Dörrie nicht geschaffen, wohl aber auch nicht beabsichtigt. Sie erzählt davon, wie die Sehnsucht nach Liebe auch Menschen bestimmt, die der Nachtseite des Lebens in die Fratze gesehen haben und davon wegstreben. Und damit liegt sie näher an Autoren wie Andrea Dresen (z.B. Die Polizistin, D 2000, oder Halbe Treppe, D 2002) oder dem Briten Mike Leigh (z.B. Naked, GB 2002, oder Vera Drake, GB 2004 ).

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