Samstag, 22. Dezember 2012

Requiem for a Dream (USA 2000)


Einmal Endstation Sehnsucht, einfach, bitte!

Die Droge und der Rausch – sie sind das Glück des kleinen Mannes, oder besser gesagt: sein Traum vom Glück. Und ein Requiem ist eine Totenmesse. Soviel zu dem, auf was wir uns bei diesem Film gefasst machen müssen.

Die alternde Witwe Sara Goldfarb (Ellen Burstyn) ist zunächst einmal eine contradictio in adiecto, denn ihre Erscheinung scheint farblich eine ungünstige Symbiose mit dem Fernsehsessel und dem Rest der gruselig vergammelten Einrichtung einzugehen. Goldfarben ist anders. Aber ihre Lieblingsshow bietet den goldenen Dreisatz zum Glück, um mal die Farbmetaphorik noch etwas zu strapazieren: Kein rotes Fleisch, kein Zucker, eine positive Einstallung. So einfach kann das Leben sein. Die Menge tobt, Sara strahlt. Der Showmaster – Dein Freund und Helfer. Nur die Umsetzung im realen Leben will nicht gelingen. Ihr Problem ist seit dem Matthäus-Evangelium (26,41) ein Evergreen: Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach. Der Griff in die Pralinenschachtel ist einfach zu süß, der Kühlschrank zu verlockend.


So träumt sich Sara erstmal weiter in ihr Paralleluniversum vom vollkommenen Glück auf Knopfdruck, bis, ja, bis es die Götter gut mit ihr meinen und eines Tages per Post die Einladung ins Haus flattert: sie darf an einer Fernsehshow auftreten. Von nun an arbeitet sie an ihrer Linie, denn das rote Kleid, Sinnbild der gesellschaftlichen Anerkennung – sie trug es bei der High-School-Abschlussfeier ihres Sohnes Harry –, das will nicht mehr passen (wieso ist dieser Reißverschluss plötzlich so eng?). Das Kleid als pars pro toto. Ohne dieses Statussymbol einer gängigen Sexiness betritt sie keine Bühne, auf gar keinen Fall. Die Konventionsmaschine rattert. Und weil die empfohlene Ei-Grapefruit-Diät zwar hart ist, der Erfolg aber auf sich warten lässt und der Kühlschrank zum rumpelnden Zentrum des Begehrens wird, führt sie ein weiterer guter Ratschlag zum netten Herrn Doktor, der ihr prompt Speed verschreibt. Das zügelt bekanntlich auch den Appetit. Für die Nacht gibt's Beruhigungsmittel. Ein lustiger Cocktail, der dem Kühlschrank nebenbei noch mehr Leben einhaucht.
Requiem for a Dream erzählt von dem versuchten Ausbruch aus dem Elend der eigenen Begrenztheit. Gesucht wird Anerkennung, Geborgenheit, Liebe. Das ist viel verlangt. Das Drehbuch verknüpft zwei Geschichten, eine ums Fernsehen und eine um Heroin, die beiden großen antagonistischen Türen in ein funkelndes Paralleluniversum auf Zeit. Hier das harmlose Seichte, der Wolf im Schafspelz, die Pest im Wohnzimmer, dort das Große Andere, der Schrecken aller braven Bürger, die Verkörperung des Untergangs. Dort die spitze Spritze, die ins weiche Fleisch sticht, kein Pardon, hier die plumpe Fernbedienung aus Plastik, die die Bilder ins weiche Hirn befördert, auch kein Pardon. Hinein in die große Illusion, hinein in die bunte Welt, hinein ins Schwarze Loch. Dem Zuschauer wird ganz anders.
Ihren Sohn Harry (Jared Leto) treiben derweil vermeintlich andere Dämonen: besoffen vor Verliebtheit in seine Marion (Jennifer Connelly) und voller Euphorie über die gemeinsam erlebten Rauschzustände, sehnt er sich danach, dem Leben ein Maximum abgewinnen und zusammen mit Marion auf der ganz großen Party tanzen. Arbeiten ist kein Thema.




Gemeinsam mit seinem Freund Tyrone (Marlon Wayans) will er in den Drogenhandel einsteigen, um sich dann frühzeitig zur Ruhe zu setzen. Was für eine großartige Idee, seufzt der Zuschauer, und ahnt schon, wohin das führt. Harrys Traumvorstellung unterscheidet sich von derjenigen seiner Mutter Sara im Grunde lediglich durch seinen jugendlichen größenwahn. Ein Kinderspiel.


Der große Traum des Prekariats: die große Flatter, den Dreh rausfinden, wie man alle anderen abhängt. Die Tellerwäschergeschichte, the abbreviated version. Dafür setzt man schon mal die eigene Gesundheit aufs Spiel. So nehmen die Dinge ihren Lauf. Fassungslos sieht man ihnen dabei zu, Lachen und Entsetzen reichen sich die Hand. Es ist ein dünner Grat zwischen Grauen und faszinierendem Spektakel, sich diesen Film anzusehen. Was die medizinische Abteilung betrifft, gibt es krasse Referenzen an Milos Formans One Flew Over the Cockoos's Nest. Und im Falle der schönen Marion tut es besonders weh. The Beauty and the Beast – die ungute Version.


Aronofsky, der zuletzt in Black Swan sein Spiel mit den dunklen Seiten der menschlichen Ängste und Begehren visuell stark umsetzte, treibt die Arbeit mit motivischen Versatzstücken auf die Spitze, dass es eine Freude ist. Hier muss sich beispielsweise Tom Tykwer seine Inspiration geholt haben, als er vor einigen Jahren seinen Kurzfilm Feierlich reist für das Gemeinschaftswerk Deutschland 09 drehte. Wie Chaplins Essmaschine in Modern Times (1936) füttert Aranofskys Drehbuch den Zuschauer mit einer wiederkehrenden Montage, die in schnellem Schnitt das Zuführen und die Wirkung der Rauschmittel vor, die da eben sind: Heroin, Kokain, TV, Pillen in allen Farben. In vollkommener Bewusstlosigkeit steuern sich die Protagonisten auf die selbstgebaute Achterbahn, an deren Ende eine Wand auf sie wartet.
Dabei werden sie getragen von einer Euphorie, die sie einem nahebringen, die das ganze Elend verdeutlichen, das sie antreibt. Wir fahren mit, doch wir wahren jederzeit die Distanz zu den Figuren. Ihre Himmelsstürmerei wird zu offensichtlich persifliert, ihre Verlorenheit in wahnwitzigen Sequenzen und Bildern parodiert. Zu Beginn fragte ich mich, ob ich mir das antun will, der Ausschaltknopf war kurze Zeit eine ernstzunehmende Option zu diesem Höllentrip in Bildern, der von den düsteren Phantasmagorien der beiden diabolischen Davids des Amerikanischen Films beseelt ist, Lynch und Cronenberg. Doch der Vergleich sagt alles: In Requiem for a Dream bleibt man bei aller emotionalen Distanz dran, und zwar in erster Linie wegen der suggestiven und anarchischen Montage und der Mise-en-Scène, nicht wegen der Geschichte.


Wie eingangs gesagt: Die Droge und der Rausch – sie sind das Glück des kleinen Mannes. Aber nur im besten Fall. Aber am Ende der Suche steht in Requiem for a Dream die komplette Entwürdigung. Ein Traum wird zu Grabe getragen.
Oder um der Sache ihr Pathos zu nehmen und abschließend mal einen gewagten Querpass zu Horst Schimanski zu spielen, Götz Georges legendären Duisburger Tatort-Ermittler mit dem notorischen Hang dazu, auf die Fresse zu fliegen: »Wer zu viel gesoffen hat und früh raus muss, der versteht, warum es ›Morgengrauen‹ heißt.« (Quelle dieser Paraphrase: einer der unzähligen Folgen, in denen Schimanski auf die Fresse fliegt)

Fazit: Es hat sich mal wieder gelohnt, in der Videothek Regale mit älteren Filmen zu durchstöbern. Da warten so manche gepfefferte Pralinen.

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