Sonntag, 13. Oktober 2013

Der Tod in Venedig / Kindertotenlieder (Regie: Thomas Ostermeier, Schaubühne Berlin)


Regie: Thomas Ostermeier
Schaubühne Berlin
Aufführung vom 26. September 2013
Wiederaufnahme von der Spielzeit 2012/13


Ins grelle Licht

Tanzende schwarze Krähen vor leuchtend hellem Hintergrund und ein singender Josef Bierbichler als Gustav von Aschenbach.
Diese beiden Eindrücke werde ich von dieser Inszenierung in Erinnerung behalten.

Die Bühne ist über die längste Zeit spärlich möbliert, ein Tonkünstler arbeitet sich an den Innereien des Klaviers ab, das links hinten steht, die Klänge, die er produziert, werden verstärkt und verzerrt und gegen Ende immer lauter – wenn die Katastrophe eintritt.

Dabei ist sie im Grunde schon da, als das Spiel beginnt. Weder Todesboten noch Spiegelungen, keine gedankliche Distanzierung vom Kommenden, keine Skrupel, keine Vorgeschichte. Rein ins Unglück. Ins glückliche Unglück.

***

Aschenbach ist bereits in Venedig, er sitzt an seinem Tisch oder steht am Klavier, singt oder schweigt, meistens schweigt er, und alles dreht sich um den schönen Jungen. Sogar die Seuchenbekämpfung wird schon betrieben, südländisch pragmatisch wird einmal kräftig unter den Tisch geblasen, dass es dampft. Doch das ist ja umsonst. Hier will ja einer gar nicht gerettet werden. Nicht mal erhört. Nur sehen will er. Sehen und sich sehnen. Tadzio forever. Eigentlich hält man das gar nicht aus.

Bierbichlers Gesang hält man auch nicht aus – sofern man sich heimlich einen Liederabend gewünscht hat. Wer nicht, der lässt sich Bierbichlers brüchigem, zögerlichem Vortrag gefallen. Und kann doch zumeist nicht anders als mitfiebern. Schafft er das hohe A? Bekommt er die Sekunde hin? Manche von Mahlers Intervallen haben es wirklich in sich. Bierbichler besteht. Und wir leiden mit.

Der singende Schauspieler, der große Bierbichler, er hat einen Exkurs gewagt, er betritt dünnes Eis, wenn er singt. Eine Analogie zu Aschenbach bietet sich an, wenn man mag. Der eine wie der andere – Schauspieler wie Figur –  hat sein Territorium verlassen und betritt Neuland. Was für Bierbichler die Töne, sind für den aus seiner apollinischen Askese selbsterlösten Schriftsteller die eigene Sehnsucht, die unterdrückten Wünsche, das Darf-nicht-sein. Das muss er erst entdecken, das kennt er nicht, das beherrscht er nicht, und das sucht er. Und schon ist er unsicher, er verstummt, wird immer mehr zum Zuschauer. Die angelernte Kunst, der Fleiß, die Opfer, das alles hilft ihm nicht. Soll es auch gar nicht. Sterben für die Liebe. Genauer: Für das das Lieben, nicht das Geliebtwerden.

***

Nach einer Stunde tritt Aschenbach ab, der letzter Satz der Novelle ist gesagt, aus einem Kabäuschen am linken Bühnenrand, gesprochen von Kay Batholomäus Schulze. Die Requisiten verschwinden, der Raum wird freigemacht für das allegorische Sterben. Die Katastrophe, das ist die Cholera, die launenhaft wütende Epidemie, die sich wahllos Opfer greift. Nur einer stirbt mutwillig – der kultur- und lebensmüde Aschenbach, der sich dionysisch nach dem jungen Leben verzehrt, das sich ganz ohne ihn abspielt, unerreichbar, unmöglich, das schiere Gegenbild zu seinem stummen Alter. 

Drei junge Tänzerinnen bewegen sich spastisch im Raum, wunderschön anzusehen. Jede der drei Parzen, Totenvögel, die Grazien sind, folgt ihrer eigenen Choreo, unabhängig von den anderen, nur ab und zu koordinieren sie ihre Bewegungen, das Ganze ist ein elegischer Höllentanz, schaurigschön, hier passt das Oxymoron, erotisch aufgeladen dadurch, dass sie fast nackt sind. Ihre Silhouetten dominieren zehn Minuten lang den Raum, bis sie in verzerrter, gekrümmter Position liegen bleiben. Während dieses gesamten Schlussteils dröhnt das Innenleben des Klaviers ohrenbetäubend und vom Himmel schweben unaufhörlich Fetzen von Plastikfolie zum Boden – verbranntes Papier, schwarze Asche, ein Schwarm davon.















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