Sonntag, 10. November 2013

Woyzeck (Schauspielhaus Zürich)



Regie: Stefan Pucher
Mit: Jirka Zett, Henrike Johanna Jörissen, Jan Bluthardt etc.


Hopp!Hopp!Hopp!


Es geht etwas. Es geht hin und her.  

Woyzeck hetzt, Woyzeck keucht, Woyzeck robbt, Woyzeck schwitzt. In voller Montur muss er Eimer schleppen, eine Puppe mit dem Bajonett traktieren, dazwischen eine Spritze des Doktors. Hopp! Hopp! Hopp! Hopp! Hopp! Hopp! Hopp! brüllt es in Endlosschlaufe aus dem fetten glatzköpfigen Hauptmann. Garagenpunk rotzt volles Rohr, die sonore Stimme der coolen Lady in Schwarz an der Gitarre und ein quiekendes Saxophon liefern sich ein Duell und treiben Woyzeck quer über die breite Bühne und zurück. Minutenlang. 
Eine klasse Theatermoment ist das, einer der emotionalen Höhepunkte des Abends, Sinnbild der Treibjagd und Verzweckung, die Büchners Figur exemplarisch erleidet, schmissig umgesetzt, man staunt wie ein Kind, was da alles so geht. Und das Bein hört nicht auf zu wippen. Man möchte jetzt eigentlich aufstehen und tanzen. 
Sagte ich tanzen?

***

Diese Szene zeigt exemplarisch die Vor- und Nachteile von Puchers Inszenierung: Mit viel Wucht wird massig Theaterdonner zelebriert,  dass es ein Spaß ist, hinzusehen, akustisch, optisch, dramaturgisch. Die Bühne eignet sich wunderbar als Renn- und Durststrecke für den gejagten und geschundenen underdog. Die große Welt bietet ihm keinen Schutz, er ist immer unterwegs und nirgends zuhause. Im Hintergrund laufen über die gesamte Breite der Bühne übermächtig große bewegte Bilder, live und aus der Dose. Man sieht jede Menge abgewrackte Hallen, Industrie-Chic, historische Aufnahmen von Schlachtungen, die Akteure am Tanzen und in Großaufnahme. Und die Musik füllt den Raum, von fein und lieblich bis brüllend und schräg. Atmosphärisch kommt das sehr gut.


Die Wirkung ist groß, die Unterhaltungsquote ist hoch, und doch und doch und doch – es fehlt etwas – ein Mitgefühl will sich nicht einstellen, um es mal in Horvathscher Diktion zu sagen. Es ist kalt.

Der zähe Jirka Zett in der Titelrolle gibt sich redlich Mühe, zu leiden. Aber ihm fehlt der Fokus. Der Raum ist groß und hell, die Bühne bevölkert, die Blicke sind abgelenkt. Zu oft steht ja gar nicht er im Zentrum, das ist vorlagengetreu, sondern eine der vielen anderen Figuren. Die spielen so plakativ, wie von Büchner gezeichnet. Robert Hunger-Bühler legt eine extragroße Portion Beiläufigkeit und Desinteresse in seine Performance, dass er zwischenzeitlich fast abwesend wirkt. Der Tambourmajor ist ein Rockstar auf Koks und macht den Macker, dass es weh tut. Der Hauptmann brüllt und brütet. Und während der blasse Andres sich auf seine Rolle als Stichwortgeber beschränkt, ist einzig Marie eine offene Frage. 


Ihr Negligé erzählt uns vieles gleichzeitig: Nachlässigkeit der Hausfrau, Dürftigkeit des Kleiderschranks, Lockmittel für brünstige Tambourmajors mit lockerem Geldbeutel und sozialem Prestige – oder versinnbildlichte Sehnsucht danach, begehrt zu werden, bevor es zu spät ist, das Glück der kleinen Leute. Ob sie kocht, sich um ihren kleinen »Wurm« kümmert oder mit dem Tambourmajor flirtet, sie tut alles gleichgültig lasziv und mit suizidaler Lustlosigkeit. 

***

Nein, Woyzeck hat es nicht leicht, die Hauptrolle in seinem Stück zu spielen und unser Interesse zu gewinnen. Die Inszenierung ist ihm dabei keine große Hilfe, wenn sie eine Irm Hermann als Ausruferin in Szene setzt, vor allem aber Ludwig Boettger dazu einlädt, fast allen die Show zu stehlen. Von außen kommend, durch das große Tor der Josefstraße, tritt er als freier Radikaler auf und darf aus Döblins ›Berlin Alexanderplatz‹ zitieren, eine zynische Verballhornung des menschlichen Leidensweges in Versform, die mit den Zeilen beginnt: »Die Erde ist ein Jammernest […] Der Mensch ist seines Lebens froh / gewöhnlich nur als Emryo […] so lebst du in der Dämmerung / im Zustand der Belämmerung etc. etc.« 
Das ist sehr lustig und von Boettger charmant vorgetragen, es dient dem Amüsement und nun hat auch der Letzte kapiert, dass Büchners Fragment heute abend als Parabel auf die conditio humana an sich fungiert. Aber eben. Man vergisst vor lauter Grinsen, dass sich hier gerade ein Drama abspielt.
Ein Drama, das sich dann doch noch ereignet, und das in dem wilden Veitstanz Jirka Zetts seinen emotionalen Höhepunkt erreicht, jedenfalls empfand ich das so. Hier dreht einer durch, entledigt sich alles Unsagbaren, aller Ängste, aller Zwänge und tanzt den Wahnsinn.

Die Kälte und das humorige Spiel mit dem Elend sind sicherlich beabsichtigt und funktionieren gut, dieser Theaterabend ist letztlich ein Ereignis in vielen Farben und ganz viel toller Musik und Atmosphäre. Und doch bleibt ein schaler Nachgeschmack, das hier das Wesentliche von Büchners Anliegen, das Mitleid mit der Kreatur, mit Pop und Pomp überzuckert wurde. Ein Musikabend mit Schmackes. Keine Tragödie.


PS. Wirklich groß: Die Punklady an der Gitarre. Elegant, zurückhaltende Körpersprache, und dann ab die Post.

PSPS weitere Aufführungen sollen im Frühling 2014 geplant sein

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