Sonntag, 20. Juli 2014

Zadie Smith: Von der Schönheit (On Beauty, 2005)

nominiert für den Booker-Prize 2005

›Von der Schönheit‹ der Gegensätze

Schicht und Etikette, schwarze Identität, akademische Eitelkeiten und der verbreitete menschliche Makel sind die zentralen Themen in diesem äußerst spannenden Gesellschafts- und Familiendrama vor, auf und hinter der akademischen Bühne. Zadie Smith entwirft eine Menge gegensätzlicher Welten und beschreibt, was passiert, wenn sie aufeinanderprallen: Schwarz und weiß, privilegiert und prekär, Akademiker und Nichtakademiker, Idealismus und Pragmatismus, intellektuell und nichtintellektuell, liberal und konservativ, gläubig und nichtgläubig, Künstler und praktische Schaffende, hässlich und schön, Mann und Frau, treu und untreu, dick und dünn – um die wichtigsten zu nennen.

Die Protagonisten gehören der schwarzen Oberschicht der amerikanischen Ostküste an. Howard (weiß) und Kiki (schwarz) sind seit 30 Jahren verheiratet, ihre Tochter Zara und die beiden Söhne Jerome und Levi sind Mischlinge auf dem Sprung ins Erwachsenenalter.

Ich werde im Folgenden die Ausgangssituation schildern – und dabei Spoiler vermeiden.

Howard Besley befindet sich in einer umfassenden Krise. Der linksliberale College-Professor mit dem Spezialgebiet 17. Jahrhundert lehrt Kunstgeschichte an der (fiktiven) Universität von Wellington (sprich Harvard) am Rande von Boston. Sein langangekündigtes Buch über Rembrandt droht allerdings ein Rohrkrepierer zu werden. Schuld daran hat vor allem er selber: Kurz vor Einsetzen der Romanhandlung blamierte er sich in einem akademischen Geplänkel mit seinem großen Londoner Konkurrenten und Widersacher, Montague Kipps (›Monty‹), seines Zeichens ultrakonservativ, gläubig, dunkelhäutig (aus Trinidad) – und gab sich damit vor versammelter Fachwelt eine peinliche Blöße – derweil Montys Buch über Rembrandt Erfolge feiert. 

Im Zuge dieser doppelten Verunsicherung (ob kausal oder korrelierend, ist Ansichtssache) gerät Howard auf sexuelle Abwege, kann der einen oder anderen Versuchung nicht widerstehen und riskiert damit seine Ehe mit Kiki. Zwar liebt er sie nach wie vor, doch die Salamitaktik, mit der er ihr gegenüber seine Verfehlungen einräumt, ist das Gegenteil von vertrauensfördernd und wirkt einer Versöhnung entgegen. Damit einhergehend verschlechtert sich auch die Beziehung zu seinen drei Kindern, die naturgemäß ihrer Mutter beistehen.  

Kiki reagiert zum einen so, dass sie Howard die kalte Schulter zeigt und eigene Kontakte knüpft, besonders zu Carlene, der Gattin von Monty, welcher im Verlauf des Romans ausgerechnet eine Gastprofessur in Wellington annimmt und nun Howards Kollege ist. Kiki, einst die zierliche schwarze Schönheit par excellence, ist zwar eine nach wie vor sehr attraktive und selbstbewusste Frau, ihr Selbstwert hat allerdings unter ihrem zunehmenden Übergewicht Schaden genommen, was ihr Howard auch vorhält, quasi als Rechtferrtigung für seine Untreue. Um sich von den ehelichen Problemen abzulenken, kümmert sich Kiki um so mehr um ihre Kinder. 

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Und die Kinder haben die Aufmerksamkeit auch nötig – selbst wenn sie das nie zugeben würden. Jerome, Zora und Levi kämpfen jeder auf seine Weise damit, festen Boden unter die Füße zu bekommen, sich darüber klarzuwerden, in welche Welt oder Schicht sie hingehören, wie sie leben wollen und in welchem Maß sie sich dafür von den Eltern emanzipieren müssen.

Nicht von ungefähr beginnt der Roman mit einer Reihe von giftigen E-Mails von Jerome an die Adresse von Howard, die von einem ausgewachsenen Vater-Sohn-Konflikt zeugen. Jerome, der sich in Opposition zum väterlichen Credo wieder dem christlichen Glauben zugewendet hat, absolviert gerade ein Ferienpraktikum in London, wo er ausgerechnet bei den Kipps untergekommen ist. Er fühlt sich dort wohler als zuhause, erfährt einen familiären Zusammenhalt und eine Wärme, die ihm in der eigenen Familie fehlen, wofür er alleine den despotischen und selbstherrlichen Vater verantwortlich macht. 
Doch erst als er eine Affäre mit Montys schöner Tochter Victoria beginnt und (etwas verfrüht) von Hochzeit spricht, gehen bei Howard die Alarmsirenen los. Er  besteigt das nächste Flugzeug, um das Schlimmste zu verhindern – und erlebt die nächste peinliche Niederlage gegenüber seinem Erzrivalen. Dessen Tochter hat sich nämlich bereits wieder von Jerome gelöst. Dass sie verführerisch schön ist, ist allerdings auch Howard nicht entgangen. Die Büchse der Pandora kann durchaus auch neunzehn und dunkelhäutig sein.

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Für Zora und Levi ändert sich viel durch die gemeinsame, eher zufällige Bekanntschaft mit Carl, einem schwarzen Jungen in ihrem Alter, um dessen Freundschaft sie fortan miteinander in Konkurrenz treten. Carl kommt aus schlechten Verhältnissen, seine Leidenschaft gehört dem Poetry Slam. Zora, die intellektuell am ehesten ihrem Vater nachschlägt, verliebt sich in ihn, getraut sich das aber nicht zu sagen. Als eine Art Ersatzhandlung schleppt sie ihn in das Lyrikseminar bei Claire, Howards superschlanken (!) Ex-Geliebter und Freundin der Familie. Dafür erhofft sie sich als eine Art Gegenleistung, dass Carl sich auch für sie zu interessieren beginnt.
Levi hingegen sucht in Carl eher nach Wurzeln der eigenen schwarzen Identität. Er gerät durch diesen Anstoß in Kreise von jungen Männern, die am Rande der Gesellschaft und im Elend leben und findet dort eine attraktive Alternative für sein eigenes noch unfertiges, und doch bereits saturiert wirkendes Dasein in der schwarzen Oberschicht, die im Grunde weißer ist, als sie sich eingestehen will.
Um Carl selbst geht es also gar nicht, der talentierte hübsche Junge figuriert eher als eine Art Spiegel und Vehikel, an der sich die beiden Belsey-Kinder abarbeiten, um sich über sich im Klaren zu werden.

Der Umstand, dass Claire Zora nicht in ihr Seminar lassen wollte, weil sie nicht regelmäßig mit der so smarten wie renitenten Tochter ihres Ex-Geliebten konfontiert sein wollte – andererseits aber den nicht minder smarten Carl gerne in ihr Seminar einließ, obwohl er jeglicher universitärer Zulassung entbehrt, sind zwei Umstände, die Zadie Smith zum Anlass nimmt, um das Thema soziale Gerechtigkeit,  affirmative action, Privilegienpolitik etc. in die Handlung einzuarbeiten. Denn früher oder später, so viel ist von Anfang an klar, wird es auf ein Duell zwischen den beiden professoralen Kontrahenten hinauslaufen.

Bis dahin entspannt sich ein hochspannendes Panorama von Persönlichkeiten und Befindlichkeiten, das einen Blick in eine mir bis anhin verschlossene Welt eröffnete. Dabei fällt auf, wie sehr sich auch in der dunkelhäutigen Community der fortschrittlichen Ostküste keiner und keine den gängigen Klischees und Vorurteilen – in welchem Lebensbereich auch immer – entziehen kann.

Zadie Smith: Von der Schönheit. Goldmann, Pößneck 2008. 510 Seiten.

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