Donnerstag, 27. November 2014

Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen


von Sibylle Berg
Regie: Sebastian Nübling
Bühne: Maxim-Gorki-Theater Berlin
Gesehen in: Berlin (25.9.14) und Zürich (26.11.14)
Es spielten: Nora Abdel-Maksoud, Suna Gürler, Rahel Jankowski, Cynthia Micas 


Die wunderbar deutliche und doch schillernde Prosa von Sibylle Berg trifft auf vier selbstbewusst verunstaltete junge Frauen, die voll Zorn, Trotz und Selbstironie von den Krämpfen, Fragen und Nöten ihres Alltags erzählen. 
Der Auftritt: Wie vier männliche Neandertaler, in plumper Haltung, mit vorgereckten Köpfen, schlenkernden Armen und offenem Mund stieren Sie herausfordernd ins Publikum: was wollt ihr hören? was wollt ihr sehen? etwa uns? das muss ein Irrtum sein. Und dann legen Sie los. Im Chor, mit Tempo und mit viel Energie bearbeiten sie Sibylle Bergs Textfläche, eine Phrase jagt die nächste, sie röhren und wispern, juchzen und singen, fast ohne einen Moment der Pause. 

Man erfährt, wer sie mal waren und wo sie jetzt stehen, was sie plagt und wonach sie sich sehnen. Im Lebensmodellsalat des Jetzt versuchen sie, nicht in der Soße zu ertrinken, sondern sich mit Hurra nach vorne zu fliehen. Nach vorne heißt jetzt erstmal: ins eigene Schlafzimmer zum Ich. Das ist kompliziert genug, damit muss man sich mal auseinandersetzen. Hauptsache der Alkoholpegel ist im Lot. Zu wenig um sich einzupinkeln, aber genug, um das Gefühl zu haben, am Leben zu sein. 

Ironie und Distanz sind wichtig. Man probiert viel aus, aber immer ist eine Hintertür offen, ob es nun um Gefühle oder darum, wie man sein Leben verbringen will. Man träumt von dem einen Moment, in dem mal alles stimmt, in dem man eine Ahnung davon bekommt, wie es sein müsste, das Leben, damit man sagen könnte, verweile doch, du bist so schön und tralala. In dem die Wiese grün ist und nicht piekst, der Partner schön ist und nicht riecht, der Kuss endlos und der Sex kein Fragezeichen sondern hach!

Genial: die Frage nach dem Sex. Was der soll. Da stehen die vier Frauen mit Haaren statt Frisuren  in ihren Schlabberpullis und und stellen diese Frage, und man glaubt es ihnen aufs Wort, dass sie da echt jetzt mal ne Frage haben. Was soll dieser Hype um den Sex? Diese andauernde Erwartung, die mit regelmäßig eintretender Enttäuschung belohnt wird. Zumal diejenigen Männer, die sich wagen, Arm und Geleit ihr anzutragen, zumeist die pickligen rotgesichtigen sind, vor denen man fliehen muss, weil man sonst aus Mitleid mit ihnen schläft. Überhaupt die Männer: Wenn sie nicht picklig und rotgesichtig sind, schicken sie voyeuristische Spielzeugsdrohnen vor die Schlafzimmerfenster aus, mit Bildern von ihren Penissen versehen. Nicht lachen, das blüht uns bestimmt. 

A propos Männer. Irgendwo gibt es oder gab es einen Paul, einen Vater, der keiner war und der sich verlor. In vier Varianten wird er angerufen, Paul, Paul das Opfer, das sich mal wieder ohnmächtig gesoffen hat. Rollenbild ade.
Und es gibt eine Angebetete, die ab und an anruft. Leider nur um jeweils die Koordinaten ihrer heterosexuellen Liebensbeziehung (resp. -en) durchzugeben. Wieder nichts gewesen. Die Mutter ruft Gottseidank fast nie an, und falls doch, ist es immer anstrengend, weil Gefühle und Tiefe und die Frau Tochter hat gefälligst einen Lebensplan vorzuweisen. Bitte was? Problem: die Mutter schmiss nach dem Mamaphase alles außer die Kinder hin, auch dieses Rollenbild ist futsch.

Sibylle Bergs sprühend böser und außerordentlich lustiger Ausflug in das Innenleben eines weiblichen Kollektivs wird begleitet von hippen Moves und burschikosem Groove. Wackelnde Köpfe und kokette Unförmigkeit – das neue weiblich ist ganz schön männlich, sehr unzart und gekonnt derb fallen sie sich ins Wort, rennen und hüpfen sie zugleich ungelenk und wendig über die Bühne, dass es eine Freude ist. Energie raus, aber grausam. Und wenn die eine dann den Zumba entdeckt hat, ist sie nicht mehr davon zu heilen. 

Nach knapp 80 Minuten ist der dann dann ausgetanzt. Was auch gut ist, denn spätestens nach ca. 60 Minuten beginnt sich die Form zu erschöpfen. Später beim Publikumsgespräch staunt man: wer sind denn die vier Mädels da vorne? Ach die? echt jetzt? Sehn ja richtig wow aus? Ein Lob an die Kostümfrau. Die Bühne bleibt übrigens leer und die einzigen Requisiten sind halbgefüllte PET-Flaschen. 

Im Berliner September sah ich die Inszenierung zum ersten Mal und wurde entzündet von der Textvorlage und der Energie und Spiellaune. Gestern ging es mir gerade noch einmal so. Schön.

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