Mittwoch, 11. Februar 2015

Hiromi Kawakami: Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß (2004)


 Sake, Pilze und die Liebe
»Sie müssen mehr Sport treiben, Tsukiko.« 
Eine süße, unaufgeregte Liebesgeschichte, die sich viel Zeit nimmt und einem ganz leise ans Herz wächst. Das liegt unter anderem an der Protagonistin und daran, dass die so schön sperrig und absonderlich ist, mit einem Hang zur distanzierenden Selbstironie:
»Ich dagegen hatte es anscheinend nicht geschafft, richtig ›erwachsen‹ zu werden. In der Grundschule war ich den anderen voraus und sogar etwas frühreif gewesen. Aber mit der Zeit hinkte ich immer mehr hinterher. Irgendwo schien es mit meiner Entwicklung zu hapern.« (111)
Tsukiko, Enddreißigerin, vertreibt sich ihre freien Tage mit Spaziergängen, einsamen Besuchen eines kleinen Bistros – und eiert ansonsten etwas isoliert vor sich hin. Von ihrer Arbeit erfährt man nichts (!), außer, dass sie sie oft bis in die Nacht im Büro hält. Eltern oder Freunde werden kaum erwähnt, bis auf den ehemaligen Mitschüler, der ihr über den Weg läuft und der sie nun, nach vielen, vielen Jahren, heftig umwirbt. Der wird es schwer haben. Denn Tsukiko ist eine harte Nuss – und sie hat bereits einen anderen im Visier, nur ist sie sich darüber nicht so ganz im Klaren oder weiß nicht, was sie damit anstellen soll.
»Ich hatte gehört, dass seine Frau gestorben war, und hatte Hemmungen, zu einem alleinstehenden Mann nach hause zu gehen. Andererseits gehöre ich zu den Menschen, die, wenn sie einmal angefangen haben zu trinken, so leicht kein Ende finden. Also ging ich schließlich doch mit.« (7)
In ihrem Bistro begegnet sie eines Tages ihrem Japanischlehrer aus früheren Zeiten und freundet sich mit ihm an. Müsste man den Roman auf eine einzige Szene zusammenfassen, wären das Tsukiko und der Sensei (= Lehrer) an der Bar, wie sie gerade mal wieder ihren Sake, ihr Bier und vor allem das Essen genießen. ›Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß‹ erzählt auch von der Erotik gepflegter Ernährung; man bekommt Lust, den Protagonisten hinterherzuessen.
Der Sensei ist mit ca. 70 Jahren ein alter Mann mit seiner Routine und mit viel Zeit. Außerdem ist er ein ziemlicher Klugscheißer, der seine ehemalige Schülerin auch zwanzig Jahre später noch tadelt, wenn sie irgendein bekanntes Haiku vergessen hat oder andere Wissenslücken offenbart. Dass das nicht so angenehm ist, liegt auf der Hand. The beauty and the Nervensäge sozusagen. Ob sie so eine Beauty ist, bleibt übrigens unserer Phantasie überlassen, aber man denkt sich das so. Wer zickig ist, muss sich das irgendwie leisten können. Jaja, das kann man sehr wohl hinterfragen.
Wie auch immer: Da haben sich zwei getroffen, die beide gerne dem besonderen kulinarischen Genuss frönen. Das gibt allerlei Anlass zu unverfänglichen Gesprächen. Der Sensei hat auch kuriose Geschichten auf Lager, zum Beispiel über seine verrückte verstorbene Frau, die mal mutwillig einen Lachpilz verzehrte, aus Ignoranz oder einfach um diese Erfahrung auch mal gemacht zu haben. Oder er zitiert aus einem seiner vielen Bücher, was mitunter zur Kategorie ›Useless Knowledge‹ gehört, zum Beispiel über Fliegenpilze:
»Früher aßen die Häuptlinge der sibirischen Bergvölker Fliegenpilze, bevor sie in den Kampf zogen. Der Fliegenpilz, müssen Sie wissen, enthält Halluzinogene, und wenn man davon isst, gerät man in gewaltige Erregung und wird aggressiv. Für Stunden verleiht er Bärenkräfte, zu denen ein Mensch in normalem Zustand nur ein paar Sekunden lang fähig wäre. Als Erster isst der Häuptling von dem Pilz, dann trinkt das nächsthöchste Stammesmitglied den Urin des Häuptlings, dann wieder der nächste den Urin des Vorhergehenden und so fort, bis alle den Wirkstoff aufgenommen haben.« (56)
Je länger je mehr zeigt sich Tsukiko beeindruckt von dem Umstand, dass der Sensei seinerseits so unbeeindruckt seiner Linie folgt und offensichtlich nicht versucht, der viel Jüngeren zu gefallen. Die Begegnungen bleiben zufällig, aber sie häufen sich, es kommt sogar zu einem Wochenendausflug auf eine Insel. Und es knistert.
»Alle meine Bemühungen, ihm näherzukommen, waren gescheitert. Er ließ mich nicht an sich heran. Es war, als existierte zwischen ihm und mir eine Mauer aus Luft. Auf den ersten Blick wirkte sie weich und durchlässig, aber wenn sie sich zusammenzog, prallte alles an ihr ab.« (166)
Das Knistern wird besonders laut, wenn die regelmäßigen Begegnungen ausbleiben, sei es weil Mitsuko mal wieder beleidigt ist oder weil sie sich beweisen will, dass es auch ohne den Sensei geht. 
»Wir hatten schon ziemlich lange nicht mehr miteinander gesprochen. Das lag keineswegs daran, dass wir uns nicht sahen. Eigentlich trafen wir uns sogar öfter in der Kneipe, aber wir redeten nicht mehr miteinander, Sobald ich beim Eintreten aus dem Augenwinkel registrierte, dass der Sensei auch da war, schaute ich absichtlich beiseite. Er ignorierte mich ebenfalls.« (27)
Es ist ein schönes Knistern. Die beiden finden in einen gemeinsamen Rhythmus, zu einem gemeinsamen Plauderton, das alles geschieht zwanglos, nebenbei, spielerisch. Und es entwickelt sich leise eine Zärtlichkeit, die berührt.
Fazit: Eine freundliche, unterhaltsame Ferienlektüre, die einem Lust macht, öfter japanisch zu essen.

Ausgabe:
Hiromi Kawakami: Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß.
Deutscher Taschenbuchverlag, 5. Auflage. München 2012.
187 Seiten.


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