Samstag, 17. Oktober 2015

Ostermeier (interviewt von Gerhard Jörder)




Interview in Buchform mit dem Intendanten der Berliner ›Schaubühne‹

Es ist schon wieder drei Monate her, dass ich dieses Buch gelesen habe, dennoch möchte ich ein paar Sätze dazu verlieren, weil es so empfehlenswert ist.

In der ›Schaubühne‹ bin ich kaum jemals enttäuscht worden. Seit Ostermeier vor 15 Jahren die Leitung übernahm, sah ich mir eine ganze Reihe seiner Inszenierungen an. Besonders gut erinnere ich mich an ›Disco Pigs‹ (Enda Walsh, mit Bibiana Beglau), ›Woyzeck‹ (mit Bruno Cathomas), ›Nora‹ (Ibsen, mit Anne Tismer)), ›Shoppen und Ficken‹ (Mark Ravenhill), ›Hamlet‹ (mit Lars Eidinger), ›Madame Julie‹ (Strindberg), ›Der Tod in Venedig/Kindertotenlieder‹ (Mann/Mahler, mit Wolfgang Bierbichler) und zuletzt vor einem Jahr ›The Little Foxes‹ (Lillian Hellman, mit Nina Hoss).

Ich erinnere mich aber auch an Inszenierungen, die mich regelrecht umgeblasen haben und die von Leuten stammten, die Ostermeier an sein Haus geholt hat, z.B. ›For the Disconnected Child‹ von Falk Richter. Das war einer jener Theaterabende, wo man hofft, er würde noch ewig weitergehen, selbst wenn man nach der Aufführung nach Friedrichshain zurücklaufen müsste. Das gibt es tatsächlich. Ostermeier gelingt es, guten Leuten eine Plattform zu bieten und sie an sich zu binden. das ist ja im Grunde die Hauptaufgabe eines Intendanten (siehe das Zürcher Schauspielhaus unter der Ägide von Marthaler oder Hartmann und durchaus auch heute unter Barbara Frey). 

Im Gespräch mit dem Theaterjournalisten Gerhard Jörder erzählt Ostermeier u.a. von seinem schwierigen Start als Shooting Star und enfant terrible Nr. 2 (hinter Castorf), der mit nur 28 Jahren die Intendanz der berühmten Schaubühne übernimmt, die sich damals auf einer schon länger andauernden Talfahrt befand. Er spricht von frühen Erfolgen sehr bescheiden und kann auch den Misserfolgen viel abgewinnen. besonders gefiel mir in diesem Zusammenhang der folgende Satz: 
»Diesen Fehler […] finde ich im Rückblick grandios. Ich bin richtig stolz auf diesen jungen Ostermeier, dass er diesen Fehler gemacht hat, dass er so blöd war. Ja, das finde ich gut, wenn junge Leute so blöd sind, wenn sie so unstrategisch sind.« 
Er erklärt, was er an Ibsen und Shakespeare so mag, wie er mit der notorischen Berliner Kritik umgeht und wieso es ihm so wichtig ist, auf Tournee zu gehen. Mir war vorher nicht bekannt, dass er in seinen Zwanzigern politisch ziemlich radikal unterwegs war und wie sich das auf seine Vorstellung von Führung als Intendant ausgewirkt hat und immer noch auswirkt. Er spricht viel über seine Schauspieler und die Arbeit mit ihnen, über die einzelnen Inszenierungen und Autoren, besonders über die zeitgenössischen, die ihn seit den 90er Jahren beeinflussen, wie Sarah Kane oder Falk Richter. Dass der Filmregisseur John Cassavetes eines seiner größten Vorbilder ist, inspirierte mich dazu, mal wieder ›Opening Night‹ (1977, mit Gena Rowlands) anzusehen, einen Film über eine alternde Bühnenschauspielerin, die sich mit Alkohol über die Schmach hinwegzuhelfen versucht, von nun an ältere Frauen (die selten die Titelheldin sind) zu spielen.
Seine großen Respekt vor Castorf fand ich beeindruckend, weil großzügig. Statt wie viele darüber zu lästern, wie alleinherschaftlich dieser seine Volksbühne seit 25 Jahren führt, unterstreicht Ostermeier, wie schön frischen Wind und wie viele neue Formen dieser superinnovative Krawalltheatermann für die Berliner Bühnenlandschaft und die nachfolgende Generation von Regisseur*innen vorgedacht und vorexerziert hat. 

Überhaupt erlebe ich in dem durch band durch interessanten Buch Ostermeier als einen angesichts seines Erfolgs sehr bescheidenen und selbstkritischen Mann. Nebenbei lernt man bei ihm viel über die Geschichte der Schauspieltheorien und er zitiert eine Menge namhafter Größen wie Gorki, Brecht, Luc Bondy und viele andere. Ein Buch zum immer wieder in die Hand nehmen.


Gerhard Jörger: Ostermeier. backstage
Verlag Theater der Zeit. Berlin 2014
150 Seiten.




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