Sonntag, 27. Dezember 2015

Kitchen (Banana Yoshimoto, 1988)



Die junge Mikage lebt nach dem Tod der Großmutter ohne Orientierung. Letzte Zuflucht bieten ihr  Yūichi und dessen Mutter Eriko, die eigentlich sein Vater ist. In deren Wohnung kommt Mikage ein paar Monate unter, zwischen Sofa und Küche, ihren beiden Säulen des Trostes, kann sie versinken und sich vom ersten Schock erholen. Die lebenserfahrene, heitere Eriko sorgt derweil für Licht in ihrem Leben und in der Wohnung.

Auch Yuichi droht in Melancholie zu versinken. Beide Heranwachsende scheinen weder irgendein konkretes Ziel zu verfolgen noch sind sie alleine mit sich glücklich. »Glück bedeutet, nicht zu merken, dass man letztlich allein ist.« (77) Was sie einander sind, bleibt vorerst offen, aber dass da mehr sein könnte, liegt in der Luft. Immerhin begegnen sie sich einmal im Traum und man wähnt sich plötzlich und unverhofft im Universum Heinrich von Kleists.

Dass sie im Traum singen und Lust auf Nudelsuppe entwickeln, ist typisch für die Leichtigkeit und Heiterkeit, die trotz düsterer Stimmungen die in zwei Teile gegliederte Erzählung dominieren. Morbide Gedanken über die Schwere des Schicksals und der Einsamkeit als anthropologische Konstante werden mehr als aufgewogen durch Mikages Wachheit und Empfänglichkeit für Menschen, die leuchten und Kraft haben, für interessante Wolkenbilder oder ein herzhaftes katsudon.  Wer Essen derart sinnlich erfährt, hat bereits einen Grund überleben zu wollen gefunden: »[…] die knallroten Tomaten, die ich im Supermarkt fand, liebte ich so sehr wie mein eigene Leben.« (78)

Neugierig folgt man der Ich-Erzählerin durch ihr unstetes Treiben und Erzählen. Man lernt ihr fragiles Gemüt kennen, ihre wechselnden Stimmungen und scheint dadurch dem Leben und seinen Überaschungen und Enttäuschungen ähnlich ausgeliefert wie sie selbst. Die äußere Handlung steht im Hintergrund, im ersten Teil mehr als im zweiten Teil, einige Rückblicke gewähren bruchstückhaft Einblick in ihre Lebensgeschichte oder diejenige Erikos oder Yūichis. Im Vordergrund stehen poetische Beschreibungen und Wahrnehmungen, die Mikages Innerlichkeit in motion spiegeln.

»Still und transparent tropfte die Zeit dahin« (38)
»Diese andere Welt musste um ein Vielfaches blauer sein als der Ort, an dem ich war, es musste dort sein wie auf dem Boden des Meeres.« (114)
»In dieser Welt gab es keinen Platz für traurige Dinge. da war ich mir plötzlich ganz sicher.« (32)
»Die ganze Vergangenheit war mit einer irrsinnigen Gewalt an mir vorbeigezogen.« (43)

Diese Art des Erzählens, ziellos, episodenhaft und oft enigmatisch, hat nichts Maniriertes an sich, sie will sich nicht interessant machen. Sie ist vielmehr Ausdruck einer Suche, ein Fischen im beliebigen, das aber eine Wirkung ausübt, und sie weckt tatsächlich Neugier, sei es, weil man sich fragt, wie es mit ihr weitergehen wird oder weil man gespannt ist auf die nächste überraschene Wendung.

Ausgabe:
Banana Yoshimoto: Kitchen.
Diogenes, Zürich 1994.

Umfang: ca. 130 Seiten, d.h. Kitchen und Vollmond (Kitchen 2)

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